Die EZB streitet: Zinsen senken, um der Wirtschaft mehr Spielraum zu ermöglichen? Oder doch beibehalten, um der Inflation Herr zu werden?

Christine Lagarde: EZB-Vorsitzende. Foto: Europäische Zentralbank
Heute richtet sich der Blick gespannt nach Frankfurt. Dann findet die nächste geldpolitische Sitzung der Europäischen Zentralbank (EZB) statt. Die zentrale Frage: Wird EZB-Chefin Christine Lagarde die Leitzinsen erneut senken? Oder folgt sie dem Beispiel ihres US-Amtskollegen Jerome Powell und leitet eine Zinssenkungspause ein?
Eine Pause wäre jedenfalls das, was Isabel Schnabel, Mitglied des EZB-Direktoriums, bevorzugen würde. Schnabel, die als Vertreterin einer restriktiven Geldpolitik gilt, äußerte in einem Interview mit der "Financial Times" Zweifel an der Notwendigkeit weiterer Zinssenkungen. Sie sei sich nicht mehr sicher, ob die Geldpolitik der EZB noch immer restriktiv sei. "Wenn überhaupt, nähern wir uns dem Punkt, an dem wir mit unseren Zinssenkungen womöglich pausieren oder sie stoppen müssen", sagte sie. Eine erneute Erhöhung der Zinsen schließt sie jedoch aus.
Auf der anderen Seite sinken die Inflationswerte in der Eurozone weiter. In Deutschland stagnierte die Inflationsrate zuletzt bei 2,3 Prozent, während sie im Euroraum leicht um 0,1 Prozentpunkte auf 2,4 Prozent sank. Das könnte Lagarde ausreichend Argumente liefern, um eine weitere Zinssenkung durchzusetzen. Seit Juni 2024 hat die EZB bereits fünfmal die Zinsen gesenkt, zuletzt auf 2,75 Prozent.
Warum könnte Lagarde die Zinsen weiter senken?
Die EZB verfolgt mit ihren Zinssenkungen das Ziel, die Wirtschaft zu stabilisieren und Investitionen anzukurbeln. Sinkende Zinsen erleichtern Unternehmen den Zugang zu Krediten und sollen die Konjunktur ankurbeln. Zudem ist die Inflation zwar noch leicht über dem EZB-Ziel von 2,0 Prozent, aber auf einem absteigenden Trend.
Ein weiteres Argument für eine weitere Zinssenkung ist die Entwicklung der Dienstleistungsinflation. Diese liegt seit November 2023 konstant bei etwa 4 Prozent und könnte durch niedrigere Zinsen weiter abgeschwächt werden. Zudem gibt es Anzeichen für eine Verlangsamung des Lohnwachstums, was ebenfalls ein Argument für eine lockerere Geldpolitik sein könnte.
Die Debatte um den neutralen Zinssatz
Ein weiterer Faktor in der aktuellen Diskussion ist das sogenannte neutrale Zinsniveau – der Zinssatz, bei dem die Wirtschaft weder gebremst noch angekurbelt wird. Lagarde bezifferte diesen zuletzt auf 1,75 bis 2,25 Prozent. Schnabel und andere Experten halten diese Schätzung jedoch für ungenau und warnen davor, sich zu sehr darauf zu verlassen.
Was bedeutet das für die Finanzmärkte?
Die Entscheidung heute dürfte weitreichende Folgen haben. Sollte die EZB die Zinsen weiter senken, könnten Immobilien- und Aktienmärkte profitieren. Eine Zinspause hingegen könnte darauf hindeuten, dass die EZB die Inflation für weitgehend eingedämmt hält und sich auf eine langfristige Stabilisierung konzentriert.
Ob sich am Ende Schnabels vorsichtige Linie oder Lagardes lockererer Kurs durchsetzt, bleibt abzuwarten. Sicher ist nur: Die Debatte um die richtige Geldpolitik wird intensiver.
Auswirkungen auf die Bauzinsen
Mit Blick auf die zuletzt wieder leicht gesunkenen Bauzinsen hofft auch die Bauwirtschaft auf günstigeres Geld. Eine weitere Zinssenkung könnte die Finanzierungskosten für Bauprojekte senken und damit den Wohnungsbau ankurbeln. Das käme letztlich auch den ambitionierten Wohnungsbauzielen vieler europäischer Staaten zugute.