Ab 2035 wird das Erdgasnetz stillgelegt. Über 24.400 Haushalte müssen sich neue Heizlösungen suchen – bleibt da jemand im Kalten?
In Mannheim stehen drastische Veränderungen bevor: Ab spätestens 2035 wird die MVV, der städtische Energieversorger, das Erdgas-Verteilnetz vollständig stilllegen. Damit läutet sie auch in den Sozialen Medien mit dem Hashtag #klimapositiv Stufe 3 des „Mannheimer Modells“ ein. Für über 24.400 Haushalte, die aktuell noch mit Gas heizen – rund 37 Prozent der Heizsysteme in der Stadt – bedeutet das ein Ende ihrer bisherigen Wärmeversorgung, schreibt der „Mannheimer Morgen“. Doch nicht nur Privathaushalte, auch Unternehmen müssen sich auf neue Realitäten einstellen.
Die Maßnahme markiert einen radikalen, aber durch das GEG auch politisch geforderten Schritt in der Energiewende, lässt aber viele Betroffene ratlos zurück. Welche Optionen bleiben, und warum setzt Mannheim diesen Plan überhaupt um?
Warum wird das Gasnetz abgeschaltet?
Die MVV sieht in der Abschaltung des Gasnetzes eine unvermeidbare Konsequenz aus zwei Faktoren: Klimaschutz und Kosten. Mit Blick auf die politischen Vorgaben von EU, Bund, Ländern und Kommunen sei die sogenannte Wärmewende unausweichlich. Das Heizen mit fossilem Gas widerspricht den langfristigen Klimazielen, die auf eine vollständige Dekarbonisierung setzen.
Hinzu kommen finanzielle Überlegungen: Die CO₂-Bepreisung wird weiter steigen, wodurch Erdgas immer teurer wird. Auch die Kosten für den Unterhalt des Gasnetzes, die über Netzentgelte auf die Kunden umgelegt werden, erhöhen sich kontinuierlich – vor allem, wenn die Zahl der Nutzer abnimmt. Ein Teufelskreis, der laut MVV ein Weiterbetreiben des Netzes unmöglich macht. Für viele Gaskunden wird damit eine bisher zuverlässige Wärmequelle schlichtweg abgestellt.
Welche Alternativen stehen zur Verfügung?
Die betroffenen Haushalte müssen spätestens 2035 auf andere Heizmethoden umsteigen. Eine mögliche Lösung ist die Fernwärme, die in Mannheim bereits stark genutzt wird und in den kommenden Jahren weiter ausgebaut werden soll. Doch diese Option steht noch nicht flächendeckend zur Verfügung, da nicht alle Stadtteile ans Netz angeschlossen sind. Für Haushalte, die keine Fernwärme nutzen können, kommen jetzt strombetriebene Wärmepumpen oder Pelletheizungen in Frage. Die Anwohner und Eigentümer müssten also umrüsten.
Auch hybride Lösungen, die verschiedene Systeme kombinieren, sind denkbar. Welche Variante sich letztlich anbietet, hängt stark vom Zustand und Alter des jeweiligen Gebäudes ab. Eine „one size fits all“-Lösung gibt es nicht, was die Planung für viele Hausbesitzer kompliziert macht. Die Investitionen in neue Heizsysteme könnten zudem erhebliche finanzielle Belastungen mit sich bringen, insbesondere für ältere Gebäude, die zunächst energetisch saniert werden müssen.
So plant die MVV die Wärmewende bis 2035
In Mannheim sollen auch nach der Abschaltung des Gasnetzes 2035 keine Füße kalt bleiben. Die MVV hat ein ambitioniertes Konzept entwickelt, um die Wärmewende zu meistern. Die Vision: Bis 2035 soll die Wärmeversorgung der Stadt vollständig klimafreundlich sein. Wie genau das gelingen soll? Mit einem Mix aus innovativer Technik, erneuerbaren Energien und umfassendem Infrastrukturausbau.
Das Mannheimer Modell - Wärmewende in drei Stufen
Die MVV – die auch in Offenbach und Kiel für die Versorgung zuständig ist - setzt in Mannheim auf eine schrittweise Transformation hin zu 100 Prozent grüner Wärme. Der Prozess des Mannheimer Modells ist bereits in vollem Gange:
- Stufe 1 (2020): Die erste Phase startete mit der Anbindung einer Thermischen Abfallbehandlung. Dieser Schritt markierte den Beginn der Umstellung hin zu mehr Klimafreundlichkeit.
- Stufe 2 (2024): Die zweite Phase sieht die Inbetriebnahme der ersten Flusswärmepumpe vor. Damit kann die MVV bis zu 60 Prozent des Wärmebedarfs der Mannheimer Haushalte und Gewerbe mit klimafreundlicher Wärme abdecken.
- Stufe 3 (bis 2035): In der dritten Phase werden innovative grüne Technologien wie zusätzliche Flusswärmepumpen, Erdwärme, industrielle Abwärmenutzung, Elektrodenkessel und Biomethan-Heizkraftwerke eingesetzt. Ziel ist es, bis 2035 die gesamte Fernwärmeversorgung der Stadt klimaneutral zu gestalten.
Ausbau der Infrastruktur und dezentrale Lösungen
Die MVV verdichtet bestehende Fernwärmenetze und baut neue aus, um möglichst viele Gebäude an die Infrastruktur anzubinden. Wo möglich, werden parallele Netzstrukturen aufgelöst, um die Effizienz zu steigern. Der Ausbau der Fernwärme ist ein zentraler Baustein der Strategie, doch nicht alle Haushalte können – trotz aller Bemühungen - bis 2035 an das Netz angeschlossen werden. Wohl nur 75 Prozent, bestätigt MVV auf Anfrage. Deshalb wird auch in dezentrale Lösungen investiert: Wärmepumpen, die lokal installiert werden, Pelletheizungen und Hybridmodelle sollen sicherstellen, dass kein Haushalt in Mannheim ohne klimafreundliche Wärme bleibt.
Innovativer Blick in die Zukunft
Die MVV sieht Mannheim als Blaupause für die Vergrünung der Fernwärmeerzeugung. Bereits jetzt liefert die Stadt wichtige Erkenntnisse, die auch an anderen Standorten genutzt werden können. Mit Projekten wie der Nutzung industrieller Abwärme und dem Einsatz von Technologien wie BECCUS (Bioenergy Carbon Capture Usage and Storage) will die MVV nicht nur CO₂-neutral werden, sondern klimapositiv agieren.
Warum sind Biogas und Wasserstoff keine Option?
Viele Haushalte könnten sich die Frage stellen, warum Alternativen wie Biogas oder Wasserstoff nicht stärker ins Spiel gebracht werden. Die Antwort der MVV ist eindeutig: Es fehlt schlicht an ausreichenden Mengen. Die Nutzung von Biogas wie Biomethan sei zwar technisch möglich, aber die Produktionskapazitäten reichten bei Weitem nicht aus, um eine flächendeckende Versorgung sicherzustellen.
Auch Wasserstoff scheidet als Lösung aus, da die Umstellung des bestehenden Gasnetzes aus technischen und finanziellen Gründen nicht umsetzbar ist. Hinzu kommt, dass Wasserstoff in absehbarer Zeit vorrangig für industrielle Anwendungen und den Schwerlastverkehr benötigt wird. Für Privathaushalte bleibt er laut MVV keine realistische Alternative. Stattdessen empfiehlt das Unternehmen strombasierte Lösungen wie Wärmepumpen, die deutlich effizienter und klimafreundlicher seien.
Was bedeutet das für Unternehmen?
Auch Unternehmen sind von der Abschaltung betroffen. Betriebe, die bisher über das Gas-Verteilnetz versorgt werden, müssen sich ebenfalls auf alternative Wärmequellen einstellen. Für Industriekunden, die an das Hochdrucknetz angeschlossen sind, könnte Wasserstoff eine Option sein, jedoch nur unter bestimmten Voraussetzungen. Selbst in diesen Fällen plant die MVV langfristig einen Ersatz des fossilen Gases. Die Unternehmen stehen somit vor ähnlichen Herausforderungen wie Privathaushalte: Sie müssen ihre Wärmeversorgung neu denken und oft tief in die Tasche greifen, um wettbewerbsfähig zu bleiben.
Die Zeit drängt, doch Lösungen fehlen vielerorts
Die Entscheidung der MVV, das Gasnetz bis 2035 stillzulegen, trifft mehr als ein Drittel der Haushalte in Mannheim hart. Für die rund 24.400 Gaskunden stellt sich die Frage, wie sie ihre Wärmeversorgung künftig sichern können. Fernwärme, Wärmepumpen oder Pelletheizungen mögen technisch mögliche Alternativen sein, doch sie sind nicht immer flächendeckend verfügbar oder wirtschaftlich sinnvoll.
Die Umstellung wird nicht nur Zeit und Planung, sondern auch erhebliche finanzielle Mittel erfordern. Die nächsten Jahre werden zeigen, ob Mannheim diesen radikalen Schritt so umsetzen kann, dass niemand sprichwörtlich im Kalten sitzen bleibt. Für viele Betroffene bleibt jedoch die Sorge, wie sie die Umstellung stemmen sollen – finanziell wie organisatorisch.