Der erwartete kleine Zinsschritt ist eingetroffen. Dennoch muss bei gerade leicht steigender Inflation der Markt exakt beobachtet werden. Die Schweizer Nationalbank hingegen senkt ihre Leitzinsen um gleich zwei Zinsschritte, weil der starke Schweizer Franken die Wirtschaft belaste.
Christine Lagarde, Präsidentin der Europäischen Zentralbank. Foto: Felix Schmitt for the ECB
Die jährliche Inflationsrate im Euroraum stieg im November 2024 auf 2,3 Prozent, ein leichter Anstieg gegenüber den 2,0 Prozent im Oktober. Dieser Wert liegt knapp über dem Ziel der EZB von 2 Prozent, wird jedoch von Analysten noch als kontrollierbar eingeschätzt. Besonders Dienstleistungen (+1,77 Prozentpunkte) und Lebensmittel (+0,56 Prozentpunkte) trugen zum Anstieg bei, während Energiepreise weiterhin rückläufig sind und mit -0,45 Prozentpunkten die Gesamtinflation dämpften.
Ein genauerer Blick zeigt, dass die Inflationsdynamik stark zwischen den Mitgliedsstaaten variiert. Während Deutschland mit 2,4 Prozent und Frankreich mit 1,6 Prozent moderate Werte aufweisen, kämpfen Länder wie Rumänien (5,0 Prozent) und Belgien (4,5 Prozent) mit deutlich höheren Raten. Die EZB sieht sich somit der Herausforderung gegenüber, eine einheitliche Geldpolitik für eine ökonomisch heterogene Region umzusetzen.
Wirtschaftliche Schwäche in Deutschland: Wachstum bleibt aus
Die Entscheidung zur Zinssenkung kommt vor dem Hintergrund einer anhaltenden wirtschaftlichen Stagnation in Deutschland, der größten Volkswirtschaft des Euroraums. Laut dem Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW) wird das deutsche Bruttoinlandsprodukt 2025 stagnieren, nachdem es 2024 um 0,2 Prozent geschrumpft ist. Diese strukturellen Probleme – wie geringe Wettbewerbsfähigkeit, hohe Energiekosten und schwache Exporte – belasten die gesamte Eurozone.
Zusätzlich sorgt die politische Instabilität in Deutschland und Frankreich für Unsicherheiten. In Deutschland wird die Wirtschaftsleistung durch die vorläufige Haushaltsführung nach dem Bruch der Ampel-Koalition weiter gebremst. Gleichzeitig droht der neue Handelskonflikt mit den USA unter Präsident Donald Trump, der mit protektionistischen Maßnahmen wie Strafzöllen die deutschen Exporte weiter belasten könnte.
Schweizerische Nationalbank überrascht mit Zinssenkung
Parallel zur EZB hat auch die Schweizerische Nationalbank (SNB) ihren Leitzins überraschend um 50 Basispunkte auf 0,5 Prozent gesenkt. Diese drastische Maßnahme soll die Exportwirtschaft stützen, die unter dem starken Franken leidet. Der EUR/CHF-Wechselkurs reagierte prompt mit einem Anstieg um 0,6 Prozent. Die Entscheidung der SNB verdeutlicht, dass Zentralbanken zunehmend entschlossen handeln, um den wirtschaftlichen Herausforderungen zu begegnen.
Warum Zinssenkungen trotz steigender Inflation?
Die Entscheidung der EZB, die Zinsen trotz anziehender Inflation zu senken, zielt darauf ab, das Wachstum zu stützen und eine drohende Rezession abzuwenden. Die EZB argumentiert, dass die Inflation hauptsächlich durch vorübergehende Effekte wie Lohnsteigerungen im Dienstleistungssektor und Basiseffekte beeinflusst wird. Langfristig gehen Analysten von einem Rückgang der Inflation aus, da die schwache Nachfrage und der Rückgang der Energiepreise dämpfend wirken könnten.
Ein weiterer Aspekt ist die wirtschaftliche Abhängigkeit des Euroraums von günstigen Finanzierungskonditionen. Eine zu restriktive Geldpolitik könnte die fragile Erholung gefährden, insbesondere in Ländern mit hoher Verschuldung. Gleichzeitig warnt die EZB vor den Risiken einer weiteren Zinssenkung, da der geldpolitische Spielraum begrenzt ist.
Ausblick: Unsicherheiten bleiben bestehen
Die EZB hat signalisiert, dass weitere Zinssenkungen möglich sind, jedoch abhängig von der Inflations- und Wirtschaftsentwicklung. Eine Reduzierung des Leitzinses auf 2 Prozent wird von vielen Analysten als realistisch eingeschätzt, falls die wirtschaftliche Schwäche anhält.
Für Deutschland bleibt die Lage angespannt. Ohne strukturelle Reformen – insbesondere zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit und Investitionen – wird sich die wirtschaftliche Stagnation voraussichtlich fortsetzen. Die EZB wird somit weiterhin in einem schwierigen Balanceakt zwischen Wachstum und Preisstabilität agieren müssen.
Die überraschende Zinssenkung der SNB zeigt zudem, dass der internationale wirtschaftliche Druck zunimmt. Die kommenden Monate werden entscheidend sein, um zu bewerten, ob diese geldpolitischen Maßnahmen ausreichen, um die Wirtschaft zu stabilisieren, oder ob weitere Interventionen nötig sind.