In deutschen Städten muss mehr Wohnraum entstehen – durch Nachverdichtung und Ausweisung neuer Bauflächen. Oft steht dabei aber der Lärmschutz im Weg. Die Bundesregierung will ihn daher aufweichen. Wohnen wird so aber nur auf den zweiten Blick günstiger.
Bund plant Absenkung des Lärmschutzes für Wohngebiete. Foto: stock.adobe.com / Wolfilser
Neue Wohngebiete erschließen
In den letzten Jahren ist die Nachfrage nach Wohnraum, insbesondere in städtischen Gebieten, stark gestiegen. Die Städte stehen vor der Herausforderung, neue Wohngebiete oftmals in der Nähe von bestehenden gewerblichen und industriellen Anlagen zu entwickeln, die oft mit hoher Lärmbelastung verbunden sind.
Um diesen Zielkonflikt zwischen Lärmschutz und Wohnungsbau zu lösen, haben die Bauministerkonferenz (BMK) und die Umweltministerkonferenz (UMK) eine Arbeitsgruppe eingerichtet. Diese Gruppe hat Vorschläge zur Flexibilisierung der Technische Anleitung zum Schutz gegen Lärm, kurz TA Lärm, die Obergrenzen beim Lärmschutz festlegt, erarbeitet. Die Bundesregierung greift diese Vorschläge auf und ergänzt sie um Inhalte des Koalitionsvertrags.
Kernpunkte des Entwurfs
Eine zentrale Neuerung des Entwurfs ist die Einführung der Nummer 7.5 in der TA Lärm. Diese Regelung ermöglicht es, in bestimmten Fällen höhere Lärm-Immissionsrichtwerte für den Nachtzeitraum festzulegen. Dies betrifft urbane Gebiete, Kern- und Mischgebiete sowie allgemeine Wohngebiete, die an gewerbliche oder industrielle Nutzungen heranrücken. Die höheren Richtwerte gelten nur, wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind:
- Der Bebauungsplan muss der Wiedernutzbarmachung von Flächen, der Nachverdichtung oder anderen Maßnahmen der Innenentwicklung dienen.
- Es müssen spezielle Fensterkonstruktionen vorgesehen werden, die eine ausreichende Luftzufuhr ermöglichen und zugleich einen hohen Schallschutz bieten.
- Der Bebauungsplan muss Bereiche im Freien vorsehen, die tagsüber den Lärmgrenzwerten entsprechen und für die Bewohner geeignet sind.
- Vorrangige Maßnahmen des Lärmschutzes müssen geprüft und, soweit möglich, umgesetzt werden.
Aktuelle Lärmgrenzwerte nach Gebietstyp
Gebietstyp | Lärmgrenzwerte 06:00−22:00 Uhr (dB(A)) | Lärmgrenzwerte 22:00−06:00 Uhr (dB(A)) |
Kurgebiet | 45 | 35 |
Reines Wohngebiet | 50 | 35 |
Allg. Wohngebiet / Kleinsiedlungsgebiet | 55 | 40 |
Mischgebiet | 60 | 45 |
Urbanes Gebiet | 63 | 45 |
Gewerbegebiet | 65 | 50 |
Industriegebiet | 70 | 70 |
Immissionsrichtwerte für dörfliche Wohngebiete
Erstmals werden in der TA Lärm auch Lärmgrenzwerte für dörfliche Wohngebiete festgelegt. Tagsüber gilt hier ein Wert von 57 dB(A) und nachts 42 dB(A). Diese Anpassung trägt der besonderen Bedeutung der Wohnnutzung in diesen Gebieten Rechnung.
Zusätzliche Belastungen beim Bau
Laut des Entwurfs entstehen durch die Änderungen der TA Lärm zwar keine zusätzlichen Erfüllungsaufwände für Bürgerinnen und Bürger, Wirtschaft oder die Verwaltung. Auch weitere allgemeine Kosten für die Wirtschaft oder soziale Sicherungssysteme sind nicht zu erwarten.
Das darf aber dennoch zu bezweifeln sein: Im Entwurf sind zwar nur Mehrkosten von für spezielle Fensterkonstruktionen beschreiben, die auf 2.000 bis 3.000 Euro pro Wohnung geschätzt werden. Aber in Absatz 1 Punkt 4 heißt es, dass „das Ausschöpfen aller bestehenden Instrumente der Lärmbewältigung“ trotzdem eingehalten werden müssen. Dies verursacht Kosten in Form von Schallschutzwänden für die Kommunen und beeinträchtigt durch Festsetzungen zur Bauweise, Geschossigkeit und Mindesthöhen sowie durch bauliche Vorkehrungen wie lärmabschirmende Grundrissorientierungen. Diese Beeinträchtigungen können den Entwicklern Rendite kosten oder den Quadratmeterpreis zum Kauf oder zur Miete zwangläufig erhöhen.
Erst auf den zweiten Blick könnte diese Maßnahme Wohnen günstiger machen, weil sie förmlich Druck vom Wohnungsmarkt nimmt. Denn auf der anderen Seite ermöglicht die Flexibilisierung der Lärmschutzvorschriften die Nutzung von Flächen, die bisher aufgrund von Lärmschutzrestriktionen nicht für den Wohnungsbau geeignet waren. Dies kann insgesamt zu einer Entlastung des Wohnungsmarktes und möglicherweise langfristig zu günstigeren Wohnkosten führen.
Bewohner höherer Lärmbelastung ausgesetzt?
Die geplanten Änderungen der TA Lärm könnten zwar kurzfristig dazu beitragen, dringend benötigten Wohnraum in städtischen Gebieten zu schaffen, werfen jedoch auch einige kritische Fragen auf. Die Erhöhung der Immissionsrichtwerte für die Nachtzeit bedeutet, dass Bewohner in diesen neu erschlossenen Gebieten höheren Lärmbelastungen ausgesetzt sein könnten. Dies könnte langfristige gesundheitliche Auswirkungen haben, insbesondere auf den Nachtschlaf und das Herz-Kreislauf-System.
Auch Wärmepumpen müssen beispielsweise beim Bau mit der TA Lärm konform sein und einen Abstand zum Nachbargrundstück haben.
Obwohl die Einführung spezieller Fensterkonstruktionen zur Lärmminderung eine innovative Lösung darstellt, könnte sie in der Praxis auf Akzeptanzprobleme stoßen. Erfahrungen mit ähnlichen Maßnahmen zeigen, dass viele Menschen es vorziehen, bei geöffneten Fenstern zu schlafen, was durch diese speziellen Konstruktionen nicht immer möglich ist. Zudem sind die geschätzten Mehrkosten von 2.000 bis 3.000 Euro pro Wohnung für viele Investoren und letztlich auch für die Bewohner selbst eine finanzielle Belastung, die die Erschwinglichkeit des Wohnraums beeinträchtigen könnte.