Die Gebäudesanierung in Deutschland steckt fest: Trotz massiver Investitionen von über 545 Milliarden Euro seit 2010 bleibt der Energieverbrauch in Bestandsgebäuden nahezu unverändert. Eine Gruppe von Wissenschaftler und Branchenvertreter fordert nun eine radikale Neuausrichtung – weg vom Paradigma der Energieeffizienz, hin zur Emissionseffizienz. Doch was bedeutet das konkret?
Zu einer energetischen Sanierung zählen Maßnahmen wie Dämmung, Heizungsaustausch und der nachträgliche Einbau von Solarthermie. Foto: Kara / stock.adobe.com
Warum „Efficiency first“ an seine Grenzen stößt
Das Prinzip „Efficiency first“ galt lange als unantastbar. Durch umfassende Sanierungen wie den Einbau neuer Fenster, bessere Fassadendämmungen und moderne Heiztechnik sollten Gebäude energetisch optimiert werden. Doch trotz dieser Maßnahmen stagniert der durchschnittliche Energieverbrauch im Gebäudebestand seit rund 10 Jahren bei etwa 150 Kilowattstunden pro Quadratmeter und Jahr.
„Das meiste ist schon gemacht“, erklärt Dietmar Walberg von der Arbeitsgemeinschaft für zeitgemäßes Bauen und Mitinitiator der neuen Initiative „Praxispfad CO₂-Reduktion“. Jede weitere Einsparung sei mit enormen Kosten verbunden – und das bei abnehmendem Nutzen. Zudem erzeugen viele Sanierungen sogenannte „graue Energie“: Bereits bei der Herstellung, dem Transport und der Installation von Dämmmaterialien entstehen zusätzliche CO₂-Emissionen.
Ein Beispiel: Der Austausch einer intakten Acht-Zentimeter-Dämmschicht gegen eine neue mit 16 Zentimetern verursacht erhebliche Umweltbelastungen, die in der bisherigen Kosten-Nutzen-Rechnung nicht berücksichtigt werden. „Man sollte Bauteile nur ersetzen, wenn sie das Ende ihrer Lebensdauer erreicht haben“, betont Walberg.
Emissionseffizienz statt Sanierungszwang
Die von der Initiative vorgeschlagene Strategie zielt darauf ab, CO₂-Emissionen über den gesamten Lebenszyklus eines Gebäudes zu minimieren. Im Fokus stehen dabei kostengünstige und pragmatische Maßnahmen, die sowohl die Umwelt entlasten als auch bezahlbaren Wohnraum sichern.
Zentral ist die Wärmeversorgung: Statt sich auf immer strengere Dämmstandards zu konzentrieren, setzt die Initiative auf emissionsarme Technologien wie Wärmepumpen. Diese können selbst in moderat sanierten Gebäuden effizient arbeiten. „Es ist ein Irrglaube, dass Wärmepumpen immer Fußbodenheizungen oder Effizienzhausstandards benötigen“, erklärt Architekt und Nachhaltigkeitsexperte Werner Sobek.
Auch die aktuell ambitionierten Neubauvorgaben stehen in der Kritik. Während derzeit Standards wie Effizienzhaus 40 gefördert werden, hält die Initiative selbst EH 55 für überzogen. Ein pragmatischer Ansatz, der lediglich moderat saniert und auf emissionsarme Energiequellen setzt, könnte den Sanierungsstau auflösen und gleichzeitig die Klimaziele erreichbar machen.
Konflikt zwischen Idealen und Realität
Die vorgeschlagenen Änderungen stoßen nicht nur auf Zustimmung. Vertreter der Dämmstoffindustrie und Energieeffizienzverbände warnen, dass eine Abkehr von „Efficiency first“ langfristig höhere Heizkosten für Mieter nach sich ziehen könnte. Die Deutsche Unternehmensinitiative Energieeffizienz (DENEFF) bezeichnet Effizienz gar als „unabdingbare Voraussetzung für eine sichere Energiewende“.
Auf der anderen Seite steht die Bau- und Immobilienwirtschaft, die den Druck der aktuellen Anforderungen längst nicht mehr tragen kann. Axel Gedaschko, Präsident des Verbands der Wohnungswirtschaft (GdW), betont, dass vielen Unternehmen schlicht die Liquidität fehlt, um die teuren Sanierungen durchzuführen. „Die Sanierungsquote liegt aktuell bei nur 0,7 Prozent – und das wird sich ohne grundlegende Änderungen nicht verbessern“, erklärt Gedaschko.
Die Initiative schlägt zudem vor, die Vielzahl an Regulierungen durch einen einzigen Maßstab zu ersetzen: den Emissionsminderungspfad. Dabei soll die CO₂-Bilanz eines Gebäudes nicht nur im Betrieb, sondern auch in Herstellung und Umbau einbezogen werden. Eine unabhängige Stelle soll die Fortschritte überwachen, während die Finanzierung über den Emissionshandel gesichert wird.