Das war schon immer so! Wenn alle das akzeptieren, spricht man von Gewohnheitsrecht. Das steht zwar in keinem Gesetzbuch, kann aber trotzdem gelten. Ein Überblick, wann es im Zusammenhang mit einer Immobilie ein Gewohnheitsrecht geben kann.
Übersicht
Was ist Gewohnheitsrecht?
Unter Gewohnheitsrecht versteht man ungeschriebenes Recht, das allein dadurch entsteht, dass es von der Allgemeinheit anerkannt und durch stete Ausübung praktiziert wird. Die Ansichten, ob es sich bei einem bestimmten Sachverhalt um Gewohnheitsrecht handelt, können sich im Zeitverlauf auch wandeln. Wenn etwas lediglich – auch von vielen – gewohnheitsmäßig praktiziert, aber nicht allgemein anerkannt ist, handelt es sich nicht um Gewohnheitsrecht. Gewohnheitsrechte spielen heute generell nur noch eine untergeordnete Rolle, weil sich die meisten Sachverhalte durch geschriebenes Recht regeln lassen.
Gewohnheitsrecht und Richterrecht
Lässt sich ein Grundstück nur dadurch erreichen, dass das Nachbargrundstück überquert wird, so hat der Grundstückseigentümer ein Notwegerecht. Foto: AdobeStock.com / mubus
Zu unterscheiden sind auch Gewohnheitsrecht und Richterrecht. Es kommt durchaus vor, dass Richter Recht sprechen, ohne dass ein konkretes Gesetz dies eigentlich hergibt. Ein Beispiel: Laut Bürgerlichem Gesetzbuch (BGB; § 535) hat ein Vermieter die Mietsache dem Mieter in einem zum vertragsgemäßen Gebrauch geeigneten Zustand zu überlassen und sie während der Mietzeit in diesem Zustand zu erhalten. Seit Jahrzehnten urteilen Richter aber abweichend hiervon, dass der Vermieter dem Mieter die Schönheitsreparaturen aufbürden darf, obwohl kein Gesetz dies regelt – allerdings nur innerhalb enger Grenzen.
Gewohnheitsrecht bei Immobilien
Gewohnheitsrecht stammt aus einer Zeit, als es noch nicht viele geschriebene Gesetze gab. Seit Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuches am 1. Januar 1900 kann man sich nur noch dann auf Gewohnheitsrecht berufen, wenn es keine andere Rechtsquelle gibt. Ein Gewohnheitsrecht entfällt, wenn entgegenstehendes Recht in Kraft tritt.
Das ist beispielsweise beim Wegerecht der Fall. Bei diesem können sich Grundstückseigentümer heute nicht mehr auf ein Gewohnheitsrecht berufen. Das bekräftigte der Bundesgerichtshof im Januar 2020 mit einem Urteil (Az.: V ZR 155/18). Weiterhin gültig bleiben Wegerechte, die aufgrund einer Grunddienstbarkeit, eines Vertrages oder die gesetzlich aus Gründen eines Notwegerechts bestehen. Dies ist im BGB im Paragrafen 917 geregelt . Dann sind aber die betroffenen Nachbarn durch eine Geldrente zu entschädigen. Konkret bedeutet das: Wenn es überhaupt keinen Zugang zum Grundstück gibt, so gibt es ein Notwegerecht. Ist der vermeintliche Notweg aber lediglich bequemer als eine vorhandene Verbindung, so gibt es kein Notwegerecht.
Info
Mit einem Notwegerecht-Fall beschäftigte sich vor einiger Zeit der Bundesgerichtshof (BGH). In dem Fall war ein Haus über einen öffentlichen Weg nur durch eine schmale Treppe zu erreichen. Die schon älteren Bewohner des Hauses benutzten allerdings viele Jahre lang einen Weg über das Nachbargrundstück, weil dies bequemer war. Als es zum Streit zwischen dem älteren Paar und den Nachbarn kam, wollten die Nachbarn diese Gewohnheit nicht mehr dulden. Letztlich entschied der Bundesgerichtshof: Auf Bequemlichkeit kommt es nicht an, ein Notwegerecht gibt es nur dann, wenn das Grundstück überhaupt nicht über öffentliche Wege erreichbar ist (Az.: V ZR 116/15).
Schwarzbauten und Gewohnheitsrechte
Auch bei Schwarzbauten gibt es in der Regel kein Gewohnheitsrecht, also keinen Bestandsschutz. „Grundsätzlich bedarf es einer Genehmigung für ein Bauvorhaben und der Bau darf den baurechtlichen Vorschriften nicht zuwiderlaufen. Anderenfalls handelt es sich um einen rechtswidrig errichteten Schwarzbau,“ erklärt Helena Klinger, Rechtsreferendarin beim Eigentümerverband Haus & Grund. Allerdings gibt es hierbei Ausnahmen: Wurde auf dem Gebiet der früheren DDR ein Schwarzbau errichtet, so galt nach Ablauf einer Fünfjahresfrist laut der damaligen DDR-Verordnung über die Bevölkerungsbauwerke in manchen Fällen ein Bestandsschutz. Und dieser gilt bis heute.
Auch im gesamten Bundesgebiet kann es in besonderen Ausnahmefällen einen Bestandsschutz für Schwarzbauten geben, die Hürden sind allerdings sehr hoch. Die Baubehörde verwirkt ihren Anspruch auf Abriss des Schwarzbaus allerdings nur dann, wenn sie lange Zeit Kenntnis davon hat, und beim Eigentümer der Eindruck entstehen muss, sie werde den Schwarzbau auch in Zukunft weiter dulden. Das entschied das Bundesverwaltungsgericht (Az.: 4 B 130.91). Im Verhandelten Fall scheiterte der Schwarzbaubesitzer aber: Die Behörde hatte in der Vergangenheit keinerlei Verhaltensweisen an den Tag gelegt, aus denen der Eigentümer hätte schließen können, der Schwarzbau werde geduldet. Allein eine lange Zeit seit Errichtung des Schwarzbaus macht diesen also nicht legal.
Überbau auf das Nachbargrundstück
Ragt ein Bauwerk auf das Nachbargrundstück, so hat der Nachbar diesen Zustand in der Regel zu akzeptieren. „Ein Grenzüberbau ist zu dulden, wenn der Bauherr weder vorsätzlich noch grob fahrlässig gehandelt hat und der Nachbar nicht vor oder sofort nach der Grenzüberschreitung widersprach,“ so Rechtsexpertin Klinger. Das gilt nur dann nicht, wenn der Eigentümer mit voller Absicht oder grob Fahrlässig aufs Nachbargrundstück baute (BGB; § 912). Allerdings muss der Nachbar auch hier durch eine Geldrente entschädigt werden.
Gewohnheitsrechte im Garten
Wie groß der Abstand zwischen Grundstücksgrenze und einem Baum sein muss, ist bundesweit nicht einheitlich geregelt, sondern steht in den Nachbarrechtsgesetzen der Bundesländer. Oft muss zumindest bei Bäumen, die sehr groß und ausladend werden können, ein Grenzabstand von vier oder fünf Metern eingehalten werden.
Ein Nachbar, der befürchtet, dass ein Baum später einmal sehr groß werden kann, kann innerhalb einer Frist fordern, dass der Baum beseitigt wird, sofern die vorgeschriebenen Grenzabstände nicht eingehalten wurden. Die Fristen sind ebenfalls in den jeweiligen Nachbarschaftsgesetzen geregelt.
Die Fristen betragen oft fünf Jahre (zum Beispiel in Rheinland-Pfalz; § 51 LNRG). Danach kann der Nachbar die Beseitigung des Baums nicht mehr fordern, sondern gegebenenfalls nur noch den Rückschnitt verlangen, wenn der Schattenwurf des Baums den eigenen Garten stark verdunkelt. Ansonsten gilt: „Eine durch Bäume verursachte Beschattung ist grundsätzlich eine unwesentliche Beeinträchtigung, die zu dulden ist,“ so Klinger. Nur in besonderen Ausnahmefällen könne dann noch ein Anspruch auf Baumfällung aus dem nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnis begründet werden. Das gelte dann, wenn es aufgrund der Höhe der Bäume zu ungewöhnlich schweren und nicht mehr hinzunehmenden Beeinträchtigungen komme, erläutert die Rechtsexpertin. Dies werde nach BGH-Rechtsprechung allerdings erst dann angenommen, wenn ein Grundstück ganzjährig und vollständig im Schatten liegt (Az.: V ZR 229/14).
Auch was die Nutzung eines Gartens durch Mieter betrifft, kann ein Gewohnheitsrecht entstehen. Duldet der Vermieter lange Zeit die Nutzung eines Gartens durch Kinder, so kann er dies später nicht mehr untersagen. Das gilt sogar für die Freunde dieser Kinder, urteilte schon vor längerer Zeit das Amtsgericht Solingen (Az.: 11 C 235/78).
Besser dingliche Rechte sichern als auf Gewohnheitsrecht vertrauen
Auf Gewohnheitsrechte kann man sich nicht unbedingt verlassen. Ob ein Gewohnheitsrecht besteht oder nicht, ist im Streitfall meist eine Auslegungssache des Gerichts. Gerade wenn es um essentielle Dinge wie ein Wegerecht geht, ist es besser, dieses im Grundbuch als dingliches Recht abzusichern. Nur dann kann man darauf vertrauen, dass dieses dauerhaft auch wirklich existiert.